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Neben der Leber ist die Niere das Haupteliminationsorgan für Arzneimittel. Demzufolge nimmt bei Niereninsuffizienz die Häufigkeit und Schwere von Arzneimittelnebenwirkungen zu. Ursächlich beteiligt sind daran mehrere Faktoren:

  • Abnahme der renalen Clearance (durch Beeinträchtigung der glomerulären Filtration, des tubulären Transportes und der tubulären Rückresorption)
  • Erniedrigung der Plasmaproteinbindung von Arzneimitteln bei Urämie (durch kompetitive Verdrängung aus der Bindungsstelle, Abnahme der Plasmaproteinkonzentration und/oder Synthese von Proteinen mit verminderter Zahl an Bindungsstellen)
  • Zunahme des Verteilungsvolumens (durch Erhöhung des freien Arzneimittelanteils bei erniedrigter Proteinbindung)
  • Störung der Biotransformation (verlangsamte Inaktivierung durch beeinträchtigte Oxidation, Reduktion, Konjugation an Glukuron- oder Schwefelsäure, Acetylierung oder Hydrolyse).

Anpassung der Medikamentendosis bei Niereninsuffizienz

Sie kann unter zwei Gesichtspunkten erfolgen:

  • Erreichen vergleichbarer Maximalspiegel (peak level) und Talspiegel (trough level) wie bei Nierengesunden (bedeutsam für die therapeutischen Medikamentenwirkungen und für Nebenwirkungen)
  • Erreichen einer gleichen Medikamentenmenge im Organismus innerhalb eines vorgegebenen Intervalls wie bei Nierengesunden.


In Abhängigkeit von dem gewünschten Ziel gibt es folgende Modifikationen der Arzneimitteltherapie:

  • Verlängerung des Dosisintervalls ohne Veränderung der Einzeldosis
  • Verringerung der Einzeldosis ohne Änderung des Dosierungsintervalls
  • Kombination aus Verlängerung des Dosierungsintervalls und Verringerung der Einzeldosis.


Das jeweils geeignete Konzept ist abhängig vom Ausmaß der renalen Funktionseinschränkung, der Toxizität des Medikamentes und vom therapeutischen Ziel. Substanzen, deren Toxizität mit der Verweildauer im Körper und dem Überschreiten bestimmter Talwerte korrelieren, werden vorzugsweise mit verlängertem Dosisintervall gegeben (Beispiel: Aminoglykoside). Substanzen, deren gewünschter Effekt eine relativ konstante Wirkstoffkonzentration voraussetzt, werden vorzugsweise in verringerter Einzeldosis unter Beibehaltung des üblichen Intervalls gegeben (Beispiel: Antikonvulsiva, Antiarrhythmika, Analgetika).


Praktisches Vorgehen

  • Bei neu zu beginnender Therapie: Gabe der für Nierengesunde vorgesehenen Initialdosis (loading dose)
  • Bestimmung der glomerulären Filtrationsrate (GFR) durch Messung oder Abschätzung der Kreatinin-Clearance
  • Entsprechend dem Grad der Nierenfunktionseinschränkung Angleichung der Erhaltungstherapie (maintainance therapy) durch Änderung von Dosisintervall und/oder Einzeldosierung (s.o.). Einen Anhaltspunkt für die mittlere Tagesdosis in Prozent der »Normaldosis« (für Nierengesunde) gibt die nachfolgende Tabelle.

 

! Fußangeln und Fingerzeige

  • Bei akutem Nierenversagen, bei wechselnder Nierenfunktion, bei Einsatz von Dialyseverfahren und bei abnormer Muskelmasse (z.B. ausgeprägte Kachexie) darf der aktuelle Kreatininwert nicht zur Abschätzung der GFR herangezogen werden. Hier sind eher die Dosierungen zu verwenden, die für die terminale Niereninsuffizienz (GFR < 10 ml/Min.) angegeben sind (Verhinderung von Überdosierungen und Reduktion etwaiger zusätzlicher nephrotox. NW)
  • Bei ANV und instabiler renaler Funktion häufige Bestimmung des Ausmaßes der Niereninsuffizienz (z.B. 2–3 x/Wo. Bestimmung der Krea-Clearance) und konsekutive Adaptation der medikamentösen Therapie
  • Die Änderung der Pharmakokinetik bei Niereninsuff. ist nicht allein Folge der verringerten GFR (s.o.). Daher ist auch bei Verwendung verringerter Dosierungen die klinische Beobachtung (Wirkung? Überdosierungserscheinungen? NW?) unerläßlich
  • Bei Medikamenten mit geringer ther. Breite drug monitoring.

 

Medikamentendosierungen bei Niereninsuffizienz
Substanz Dosis in% Normaldosis bei Glomerulumfiltrat von ... [ml/Min.] Serum-HWZ [h] bei normaler Nierenfunktion
  >  50% 10–50%

< 10%

 
Aciclovir 100 50 15 2
Amantadin 50 15–30 5–10 12
Amikacin 30–60 15–30 10–15 1,8
Amoxycillin 100 50 25 1,1
Amphotericin B 100 100 50–75 ca. 300
Ampicillin 100 50 10–20 1,1
Azithromycin 100 100 100 48–96
Azlocillin 100 50 25 1,3
Aztreonam 100 50 25 1,7
Bacampicillin 100 50 25 1,0
Cefaclor 100 50–75 25–50 0,8
Cefalexin 100 50–75 25 1,5
Cefamandol 100 50 25 0,9
Cefazedon 50-80 30–50 10–20 1,5
Cefazolin 100 50 25 1,8
Cefmenoxim 30-80 30 10–20 1,1
Cefoperazon 100 100 100 2
Cefotaxim 100 50 25 1,1
Cefotiam 50-75 20–50 10–20 0,75
Cefoxitin 80-100 50 10–20 1,1
Ceftazidim 100 50 25 1,8
Ceftizoxim 100 50 25 1,5
Ceftriaxon 100 100 100 7
Cefuroxim 100 50 15–25 1,1
Chloramphenicol 100 100 100 4
Chloroquin 100 25–50 25 ca. 1000
Ciclosporin 100 100 100 8
Cilastatin 100 50–75 25–50 0,8
Ciprofloxacin 100 50–75 50 3–5
Clavulansäure 100 100 50–75 1
Clindamycin 100 100 100 3
Doxycyclin 100 100 100 20
Erythromycin 100 100 100 2,0
Ethambutol 100 50 25 3,1
Flucloxacillin 50-100 50 20–40 0,9
Fluconazol 100 50 25 30
Flucytosin 100 50 10–25 4
Ganciclovir 50 25–50 25 3
Gentamicin 30-70 15–30 10 2,5
Imipenem 100 50–75 25–50 1,0
Isoniacid 100 100 25–50 2
Latamoxef 50-100 50 10–25 2,5
Linezolid* 100 100 100 5–7
Mebendazol 100 100 100 3
Metronidazol 100 100 25–50 7
Mezlocillin 75 40–50 25 0,8
Minocyclin 100 100 - 20
Ofloxacin 70–100 50–70 10–30 5
Oxacillin 100 100 50–75 0,5
Penicillin G 100 75 15–50 0,5
Pentamidin 100 100 50 6
Piperacillin 75 40–50 10–20 1,4
Rifampicin 100 100 100 3,5
Streptomycin 100 50–75 25–50 2,5
Sulbactam 100 50–75 25–50 1,2
Tobramycin 30-70 15–30 10 2
Trimethoprim/ Sulfamethoxazol 75 50 - 10
Vancomycin 50-100 10–50 10 6
Voriconazol** 100 100 100 6
* keine Dosisanpassung; bis 10-fache Kumulation der Hauptmetaboliten; bisher keine negativen Effekte beschrieben
**  keine Dosisanpassung; bei GFR <50% vorzugsweise orale Gabe, da Kumulation des intravenösen Lösungsmittels SBECD

 

Ampicillin/Sulbactam
Kreatinin-Clearance (ml/min) Dosierungsintervall
> 30 6–8 Stunden
15–30 12 Stunden
5–14 24 Stunden
< 5 48 Stunden
  • Serumhalbwertszeit bei Nierengesunden 1–2 h
  • CAVHD, CVVHD: 1,5 g alle 12 h
  • CAVH, CVVH: 3 g alle 24 h